Warum fordern einige Parteien eine Bürgerversicherung? Und was würde das für die gesetzliche und private Krankenversicherung bedeuten?
ARTIKEL FACHLICH GEPRÜFTvon unseren PKV-Experten
Inhalt des Ratgebers
Bürgerversicherung - kurzer Überblick:
Bürgerversicherung als Lösung für gesundheitspolitische Herausforderungen: Diskussionen über das deutsche Gesundheitssystem und seine Reformen reichen bis in die 1970er Jahre zurück.
Grundprinzipien und Zielsetzungen der Bürgerversicherung: Die Bürgerversicherung soll eine solidarische Finanzierung der Gesundheitsversorgung ermöglichen und die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung aufheben.
Vor- und Nachteile der Bürgerversicherung: Vorteile umfassen gleiche Leistungen für alle und Beitragsberechnung nach Einkommen, während Nachteile mögliche Verschlechterung der Patientenversorgung und potenziell steigende Beiträge sind.
Zu hohe Beiträge, zu viel Bürokratie: Über das deutsche Gesundheitssystem wird viel gestritten – und das nicht erst seit gestern! Schon in den 1970er-Jahren wurden erste Maßnahmen umgesetzt, um die Gesundheitspolitik fairer und einfacher für alle zu gestalten. Die letzte Gesundheitsreform gab es 2015 unter Gesundheitsminister Hermann Gröhe von der CDU. Damals wurde der Beitrag für die GKV auf einen Sockelbeitrag von 14,6 % gesenkt, allerdings können die Kassen individuelle Zusatzbeiträge erheben.
SPD, Linke und Grüne sprechen sich für eine Bürgerversicherungaus – verfolgen jedoch eigene Ansätze bei der Ausgestaltung. Ihr Argument ist eine fairere Gesundheitsversorgung und Abschaffung einer „Zwei-Klassen-Medizin“.
FDP, AfD und CDU/CSUlehnen die Idee einer Bürgerversicherung nach wie vor ab. Sie wollen am bisherigen dualen Konzept festhalten und befürchten, im Falle eines einheitlichen Krankenkassensystems, schlechtere Versorgungsleistungen für die Versicherten und weniger medizinische Innovationen.
Was ist eine Bürgerversicherung?
Die Grundidee der Bürgerversicherung ist es, eine solidarische Finanzierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland auf Basis aller Bürger unabhängig vom jeweiligen Einkommen zu sichern. Die Bürgerversicherung bildet die Grundlage für einen lebhaften Wettbewerb aller Versicherer um die bestmögliche Qualität und Wirtschaftlichkeit der gesundheitlichen Versorgung sicher zu stellen.
Das Konzept der Bürgerversicherung entstand 2003 und wurde von den Mitgliedern der Kommission der Rürup-Rente sowie vom Kölner Wirtschaftsprofessor und SPD-Mitglied Karl Lauterbach gestaltet. Ziel war es durch die Bürgerversicherung die Finanzierungsgrundlagen des Gesundheitssystems langfristig zu sichern. Es wird darauf abgezielt, die Trennung zwischen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung aufzuheben. So sollen alle Versicherten, die bisher in der GKV Mitglied waren sowie alle neu zu versichernden Menschen in die Bürgerversicherung integriert werden.
Hintergrund dieses Konzepts sind die folgenden Zielsetzungen
Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung auf möglichst alle Menschen in Deutschland
Erweiterung der Berechnungsgrundlage für die Beiträge auf möglichst viele Einkunftsarten, insbesondere auf „Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit“, „Einkünfte aus Kapitalvermögen“ sowie „Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung“.
Zusatzbeiträge entfallen (für alle oder bestimmte Gruppen)
verschiedene Konzepte der Parteien SPD, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen zu PKV-Übergangslösungen oder Beibehaltung der PKV (Voll- und/oder Zusatztarife)
Das bleibt weiterhin bestehen: Prinzip der Belastung nach Leistungsfähigkeit, Sachleistungsprinzip, Umlagefinanzierung, beitragsfreie Familienversicherung für Ehepartner und Kinder
GKV oder PKV?
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Bürgerversicherung vs. Kopfpauschale
Die bisherige Finanzierung des Gesundheitssystems hat sich nach Ansicht vieler Experten wegen der demographischen Veränderung überlebt. In der Debatte zur zukünftigen Finanzierung stehen zwei Modelle gegenüber: Kopfpauschale (oder Gesundheitsprämie) und die Bürgerversicherung.
Mit der Kopfpauschale ist ein neues Konzept zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gemeint, bei dem die Kassen selbst bestimmen, wie viel sie von ihren Mitgliedern verlangen – ähnlich wie das die privaten Krankenversicherungen heute schon tun. Für die Versicherten bedeutet das, dass jeder Beitragszahler den gleichen Krankenkassenbeitrag zahlt, unabhängig vom jeweiligen Einkommen. Eine Entlastung für Geringverdiener soll durch steuerfinanzierte staatliche Zuschüsse erfolgen. Die Möglichkeit Kinder und Ehepartner beitragsfrei mitzuversichern bleibt erhalten.
Politikern in der SPD, bei den Grünen und den Linken gefällt die Aussicht auf diese Kopfpauschale nicht. Sie fordern stattdessen die Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung. Diese würde alle deutschen Versicherungspflichtigen einkommensabhängig in einer gemeinsamen Krankenversicherung zusammenfassen – die Unterscheidung in „gesetzlich“ und „privat“ würde dann entfallen. Diese gemeinsame Krankenversicherung entspricht dann einer "Krankensteuer.
Bürgerversicherung
Bürgerversicherung
Kopfpauschale
Kopfpauschale
Grundidee
Bürgerversicherung
alle Versicherten zahlen mit allen Einkommen in das System der gesetzlichen Krankenversicherung ein
Gehälter, Mieteinnahmen, Zinseinkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze
Kopfpauschale
Einkommen bleibt unberücksichtigt
Einkommensausgleich
Bürgerversicherung
kostenlose Versicherung von Kindern, Unterstützung von Einkommensschwachen, finanziert aus Steuermitteln
Kopfpauschale
vollständige bzw. teilweise Übernahme der Kopfpauschale für Einkommensschwache, kostenlose Versicherung für Kinder
Familienversicherung
Bürgerversicherung
vorgesehen
Kopfpauschale
vorgesehen
Probleme/Kritik
Bürgerversicherung
Demografischer Wandel wird kaum berücksichtigt, dadurch längerfristig höhere Beiträge, Lohnnebenkosten werden nur kurzfristig gesenkt, Folge: Gefährdung von Arbeitsplätzen, Vorwurf der “Einkommenssteuer”
Kopfpauschale
hohe finanzielle Belastung für den Staat (durch Sozialausgleich), einseitige Belastung der Versicherungsnehmer, Aufhebung des Solidarprinzips
Vorteile & Nachteile einer Bürgerversicherung
Was viele Leute am derzeitigen Gesundheitssystem stört, ist die Möglichkeit, dass sich einige einen besseren Gesundheitsschutz und Leistungen zulegen können - insofern sie das möchten. Für andere bleibt die GKV die einzige Möglichkeit sich gesundheitlich abzusichern und durch eine Zusatzversicherung die Leistungen anzupassen. Zudem fehlen durch die Privatversicherten wichtige Beiträge in der GKV.
Jedoch gibt es auch Kritiker der Bürgerversicherung. So fürchten diese eine stärkere finanzielle Belastung der Personen mit hohem Einkommen und mögliche steigende Beitragssätze für alle. Je nach Umsetzung würde die BBG komplett entfallen oder sich an der Grenze für die gesetzliche Rentenversicherung orientieren. Dieser Wert gibt die Einkommenshöhe an, bis zu der der Krankenkassenbeitrag berechnet wird.
Vorteile
Das gleiche Leistungsniveau Mit einer Bürgerversicherung würden alle Personen die gleichen Leistungen erhalten. Die Versorgung in der PKV ist in der Regel besser als die in der GKV. Ohne die Zwei-Klassen-Medizin würde die Besserbehandlung weg fallen. Das bekannte Problem, als gesetzlich Versicherter lange auf Termine beim Arzt warten zu müssen, würde somit nicht mehr existieren.
Beitragsberechnung nach Einkommen Dient das Einkommen als Grundlage für die Beitragshöhe, würden Privatversicherte entlastet werden, die bei einem niedrigen Verdienst vergleichsweise viel für ihre private Krankenversicherung zahlen.
Familienversicherung Unter bestimmten Voraussetzungen sind Familienmitglieder über die Krankenkasse des Ehepartners oder der Eltern kostenlos mitversichert. Dies dürfte auch in der Bürgerversicherung gelten, wodurch bisher Privatversicherte mit Kindern profitieren würden.
Nachteile
Schlechtere Patientenversorgung Die Versorgung von Patienten in Ländern mit Einheitskasse wie Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien ist deutlich schlechter. Wer dort mehr Leistungen für seine Gesundheit will, muss eine Zusatzversicherung abschließen. Aus Sicht des PKV-Verbandes würde erst eine solche Situation eine wahre Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland bedeuten. Außerdem kommt der Mehrumsatz, der durch Privatpatienten und Privatpatientinnen generiert wird, vor allem auch den Ärzten in ländlichen Regionen zu Gute und hält die ärztliche Infrastruktur dort aufrecht wie der PKV-Verband in seinem Regionalatlanten herausgearbeitet hat.
Kein Fortschritt medizinischer Innovationen Da durch eine Bürgerversicherung der Wettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung weg fallen würde, werden medizinische Innovationen nicht weiter verfolgt. Bisher finden Innovationen vor allem in der PKV Anwendung, die später auch im Leistungskatalog der GKV können. Die PKV fördert durch Investitionen in Start-ups vor allem auch die Digitalisierung des Gesundheitsmarktes. Auch im Bereich Arzneimittel ist die PKV ein Innovationsmotor, denn sie erstattet Medikamente in einem wesentlich größeren Maße. Neuere Medikamente, die in Europa zugelassen wurden, können Privatpatient:innen nicht nur schneller verordnet werden, das duale System sorgt auch dafür, dass diese allen Versicherten schneller zu Gute kommen.
Beitragssteigerung Die Bürgerversicherung würde auf dem Umlageverfahren basieren. Das bedeutet, dass heutige Erwerbstätige mit ihren Beiträgen auch die Versorgung von Rentnern zahlen. Durch den demografischen Wandel gibt es langfristig immer weniger Beitragszahler bei höheren Ausgaben. Die Konsequenz sind steigende Beiträge wie es heute schon in der gesetzlichen Krankenversicherung der Fall ist.
Steigende Lohnnebenkosten Wird die Beitragsbemessungsgrenze erhöht oder komplett gestrichen, bedeutet dies für Arbeitgeber wesentlich höhere Lohnnebenkosten für ihre Mitarbeiter, wenn diese ein Gehalt über der aktuellen Grenze erhalten. Der Sprung über die Beitragsbemessungsgrenze würde Arbeitnehmern damit womöglich erschwert werden.
FAQ Bürgerversicherung
Die Bürgerversicherung ist ein Konzept zur Umgestaltung des derzeitigen Gesundheitssystems in Deutschland. Vorbild ist die Schweiz mit ihrem Versicherungsmodell. So soll die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Versicherung aufgehoben werden und ein gerechteres und solidarischeres Gesundheitswesen für alle Bürger angeboten werden.
Innerhalb der Bürgerversicherung tragen alle Bürger mit ihrem Einkommen zur Finanzierung des GKV-Systems bei. Jeder, der sich neu krankenversichern lässt, wird der Bürgerversicherung zugeordnet und kann frei zwischen den Krankenkassen (GKV sowie PKV) wählen. Die Aufnahme erfolgt ohne vorherige Gesundheitsprüfung und die Beitragsbemessung wird abhängig vom Einkommen berechnet. Durch das Sachleistungsprinzip soll garantiert werden dass jeder Bürger die gleiche medizinischen Versorgung erhält und an medizinischen Fortschritten teilnimmt.
Der Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung würde aufgehoben. Die PKV kann eigene Bürgerversicherungstarife anbieten, diese jedoch ohne Risikoprüfung und Einkommensabhängigkeit. Was jedoch attraktiv für die privaten Kassen bleibt ist der Markt der Zusatzversicherungen.
Der Kernunterschied der beiden Konzepte besteht in der Beitragsbemessung: Bei der Bürgerversicherung sind die Beiträge einkommensabhängig unter Einbeziehung aller Einkünfte fällig, bei der Kopfpauschale zahlen alle Bürger den gleichen Beitrag. Hier ist die Beitragsbemessung einkommensunabhängig.
Sollte die Bürgerversicherung tatsächlich eingeführt werden, gibt es drei mögliche Szenarien:
Die private Vollversicherung wird beibehalten, aber alle Versicherten zahlen einkommensabhängige Beiträge
Neue Kunden können keine private Vollversicherung mehr abschließen, bestehende dürfen jedoch bleiben.
Die PKV wird komplett abgeschafft und alle existierenden Versicherten gehen in die Bürgerversicherung über. (Das ist die unwahrscheinlichste Variante.)
Statt über die Wahrscheinlichkeiten der Szenarien zu spekulieren, zeigen wir dir lieber, welche Folgen eine Bürgerversicherung für ottonova Versicherte hätte:
Szenario 1
Sollte die Bürgerversicherung mit Beibehaltung der PKV kommen, dauert es einige Jahre bis ein solches Modell überhaupt umgesetzt werden könnte. Die gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungsunternehmen würden dann eine Bürgerversicherung zu einheitlichen Bedingungen anbieten. Das heißt, du könntest nach wie vor bei ottonova versichert bleiben, hättest von niedrigen Beiträgen profitiert und das Szenario hätte keine negativen Auswirkungen auf deine Leistungen. Denn diese bleiben garantiert, auch wenn das generelle Leistungsniveau in der Bürgerversicherung sinkt. Das nennt sich Bestandsschutz. Die Beiträge würden sich allerdings nach deinem Einkommen richten. Du kannst dich dann frei zwischen privater und gesetzlicher Versicherung entscheiden.
Szenario 2
Wenn nur das Neugeschäft der privaten Vollversicherung beendet wird, hat dies auch keinen negativen Einfluss auf dich und deinen Versicherungsschutz bei ottonova. Deine Leistungen sind weiterhin garantiert. ottonova würde auch hier bestehen bleiben und existierende Verträge fortführen. In diesem Szenario kommen keine neuen Versicherten nach, was aber keinen negativen Einfluss auf die Beitragsentwicklung hat. Schließlich sorgt in der privaten Krankenversicherung - anders als in der gesetzlichen – jede/r für sich selbst vor. Auch in diesem Fall würde ottonova weiter Zusatzversicherungen verkaufen. Dadurch können wir als Unternehmen weiter wachsen und unsere Serviceleistungen für alle Versicherten ausbauen.
Szenario 3
Wenn du heute einen Vertrag bei ottonova abschließt und in 10 Jahren alle Privatversicherten in die Bürgerversicherung übergehen müssen, ist das Endergebnis für dich das Gleiche, als wenn du dich nicht bei uns versicherst hättest. Da eine private Krankenversicherung in jungen Jahren aber meist günstiger ist, hast du in diesen 10 Jahren nicht nur bessere Leistungen erhalten, sondern auch Beiträge gespart. ottonova würde als Unternehmen bestehen bleiben und sich auf den Verkauf von Zusatzversicherungen fokussieren. Deine angesparten Altersrückstellungen könntest du dabei sogar in eine Zusatzversicherung mitnehmen.
HIER SCHREIBTHeribert
Sales Coach & PKV-Experte Heribert blickt auf über 30 Jahre Versicherungserfahrung zurück. Seit über 20 Jahren arbeitet er als Spezialist im PKV-Bereich und berät Kunden und Kundinnen, um die optimale Krankenversicherung zu finden.
Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.