Philipp Buddemeier ist Gründer und Geschäftsführer von Better Earth, einer Unternehmensberatung an der Schnittstelle von Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Seit über 15 Jahren widmet sich Philipp kompromisslos den Themen Nachhaltigkeit und wirkungsorientierte Unternehmensführung. Das ESG-Team von ottonova hat mit ihm gesprochen.
Christa: Philipp, wir kennen uns seit unserer letzten Finanzierungsrunde und durch unseren neuen Leadinvestor Cadence. Wie arbeiten Better Earth, Cadence und ottonova zusammen?
Philipp: Better Earth führt Nachhaltigkeits-Due-Diligences durch für Unternehmen, an denen sich Cadence beteiligen möchte – wie zuletzt bei ottonova.
Christa: Wie definiert ihr bei Better Earth eine Nachhaltigkeits-Due-Diligence?
Philipp: Es geht um die Prüfung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Das machen wir in drei Dimensionen: Zuerst geht es um den Nachhaltigkeitsbeitrag des angebotenen Produktes oder Services, das heißt die Wirkung dieses Produktes oder Services in der Welt. Zweitens geht es um die Nachhaltigkeitsleistung bezogen auf Aspekte, die entlang der Wertschöpfungskette für die Erbringung dieses Produktes oder dieses Services relevant sind und drittens um den organisationalen Reifegrad der Organisation.
Der Nachhaltigkeitsbeitrag von ottonova (Produkte und Services) in der Welt ist der Unterschied, den ihr für eure Kundinnen und Kunden dadurch macht, dass es euch gibt. Konkret: was macht ihr besser als andere Krankenversicherungsgesellschaften - beispielsweise indem ihr zügiger Arzttermine ermöglicht oder mehr Präventionsmaßnahmen nahelegt und eure Versicherten damit gesünder als andere sind. Bei dem ersten Aspekt, der Wirkung durch eure Produkte und Services, geht es uns im Endeffekt um die tatsächlichen Verbesserungen für eure Kunden, also reale, nachweisbare Verbesserungen der Gesundheit.
Im dritten Aspekt schließlich geht es um den organisationalen Reifegrad: Wie sehr seid ihr als Organisation befähigt und ausgestattet, Nachhaltigkeit konsequent auf den relevanten Management-Ebenen umzusetzen. Das schauen wir uns an von der normativen Orientierung über die strategische Ausrichtung bis hin zur operativen Verankerung.
Christa: In der Due Diligence geht es um die sorgfältige Prüfung und Analyse eines Unternehmens, insbesondere mit Blick auf seine wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse. Packt ihr die drei Dimensionen, die du uns eben vorgestellt hat, auch in messbare Zahlen oder wie geht ihr vor?
Philipp: Auf jeden Fall. Was Menschen immer wieder überrascht, wenn wir über eine Nachhaltigkeits-Due-Diligence sprechen ist, dass wir dieses, für viele schwer greifbare Thema Nachhaltigkeit eben durch die verschiedenen Bewertungsdimensionen sehr gut operationalisieren und quantifizieren können. Konkret bewerten wir 80 Indikatoren auf einer Zehn-Punkte-Skala. In Summe wird das Bewertungsergebnis von „Zukunftsfähig“ bis „Rote Flagge“ dargestellt. Zwischen „Zukunftsfähig“ und „Rote Flagge“ liegt noch das, was wir „Mainstream-Plus“ und „Mainstream-Minus“ nennen. In diese Bandbreite lassen sich die Unternehmen, die wir uns ansehen, sehr gut einordnen.
Christa: Mit welchen Konsequenzen?
Philipp: Das Ergebnis der Nachhaltigkeits-Due-Diligence umfasst zweierlei: Erstens das Aussprechen einer Investment-Bewertung aus Nachhaltigkeitssicht, bezogen auf euer aktuelles Performance-Niveau und zweitens ein vorgeschlagener Entwicklungsplan, um über die nächsten zwölf Monate eure Nachhaltigkeitsleistung zu verbessern. In der Investment-Bewertung sprechen wir eine Einschätzung aus, die die vier abgestuften Bewertungsergebnisse reflektiert: Eine durchweg positive Investment-Bewertung aus Nachhaltigkeitssicht, die keine wesentlichen Bewertungseinschränkungen enthält, die zweite Stufe ist eine grundsätzlich positive Investment-Bewertung mit dem Hinweis auf Themen, die es zu verbessern gilt. Die dritte ist eine eher kritische Bewertung und der Vorschlag, die Investition nur unter der Voraussetzung zu tätigen, dass der Investor bereit ist, den identifizierten Transformationsbedarf zu begleiten. Das vierte Ergebnis ist eine überwiegend kritische Bewertung mit der Einschätzung, dass der Zukauf aus Nachhaltigkeitssicht nicht ratsam scheint.
Christa: Und wie hat ottonova abgeschnitten? Was können wir gut, wo sagst du, da geht noch was?
Philipp: Wir haben eine Investment-Bewertung in der zweiten Kategorie ausgesprochen mit dem Hinweis auf Themen, die es noch zu adressieren und zu verbessern gilt.
Christa: Sind das größere Themen oder sind das Dinge, die sich als „quick win“ zügig auf den Weg bringen ließen?
Philipp: In allen drei bewerteten Themenbereichen, eurem Beitrag in der Welt, eurer Wertschöpfungsketten-Performance und dem organisationalen Reifegrad, auf allen drei Ebenen sehen wir euch in der zweiten Bewertungskategorie. Das ist grundsätzlich gut, aber es gibt eben auch noch Themen, die es zu verbessern gilt. Die Themen, die wir euch vorschlagen, zielen auf eine Verbesserung einer grundsätzlich guten Ausgangsbasis ab. Wir haben drei wesentliche Vorschläge abgeleitet. Bezogen auf eure Wirkung in der Welt schlagen wir euch vor, euren Beitrag deutlich greifbarer zu machen – indem ihr zum Beispiel quantifiziert, um wieviel schneller Menschen einen Arzttermin erhalten, wieviel schneller ihr Erstattungen auszahlt oder welche Vorsorgeleistungen tatsächlich früher beziehungsweise zielgerichteter wahrgenommen werden, als unmittelbares Ergebnis einer Versicherung bei euch.
Bei der organisationalen Reife hatten wir unter anderem Rückfragen zur langfristigen Tragfähigkeit eures Geschäftsmodells, weil die private Krankenversicherung in Deutschland ja immer wieder hinterfragt wird. Wir empfehlen euch bei diesem Punkt, dass ihr eure Pionierrolle in der privaten Krankenversicherung aus einer Systemperspektive heraus quantifiziert. Wie stark könnt ihr beispielsweise durch die Digitalisierung relevanter Prozesse eure Kosten reduzieren und so zur Kostenreduktion im Gesundheitswesen beitragen und zu mehr Innovation motivieren? Belegt und begründet euren Beitrag quantitativ. Setzt euch vielleicht sogar Ziele. Eure Daseinsberechtigung aus Sicht des Gesundheitswesens ist die verbesserte Serviceleistung gegenüber euren Versicherten sowie die des Pionierunternehmens bezogen auf das Gesamtsystem.
Unser zweiter Vorschlag ist, aus eurem Beitrag eine Kommunikationsagenda zu machen und gerade in der externen Kommunikation euren Nachhaltigkeitsbeitrag nachvollziehbar zu kommunizieren. Das stärkt eure Kommunikation hinsichtlich eures Beitrags für eure Versicherten und das Gesundheitssystem.
Unser dritter Vorschlag war, eure internen Prozesse nochmal zu verbessern, Stichwort Kapitalanlage. Welche Nachhaltigkeitskriterien nutzt ihr, um sicherzustellen, dass die Kapitalanlage eben auch euren Nachhaltigkeitsanforderungen und -ansprüchen genügt. Insofern war da unser Vorschlag, dass ihr die Kapitalanlage an klare, nachhaltigkeitsbezogene Ansprüche knüpft.
Christa: Hier sind wir mit unserer aktualisierten Kapitalanlagestrategie schon einen großen Schritt weiter.
Philipp: Das finde ich ja super stark. Dass wir Vorschläge machen, auf die ihr eingeht und das in recht kurzer Zeit. Das Ergebnis der Nachhaltigkeits-Due-Diligence hatten wir Ende September, jetzt ist es November*.
Christa: Danke dir. Gibt es Unternehmen mit Vorbildcharakter, bei denen ihr ein Audit durchgeführt habt und die über alle Dimensionen in der ersten Kategorie abgeschnitten haben?
Philipp: Es gibt Unternehmen, die in einem der Teilaspekte in der obersten Kategorie lagen, bei „Wirkung in der Welt“ oder „Nachhaltigkeit entlang der Lieferkette“. Beim „organisationalen Reifegrad“ schneiden naturgemäß schon länger bestehende Unternehmen gut ab, wenn sie im nachhaltigen unternehmerischen Wirtschaften schon ein paar Schritte weiter sind.
Christa: Für ein noch junges Unternehmen schlagen wir uns also ganz tapfer?
Philipp: Für ein junges Unternehmen wie ottonova ist euer organisationaler Reifegrad absolut angemessen und gut. Ein Unternehmen, das bei der „Wirkung in der Welt“ eine einschränkungslose Investment-Bewertung erhält, könnte beispielsweise als Impact-Unternehmen ein sozial-ökologisches Ziel als Kerngeschäftsinhalt gewählt haben - wie die Suchmaschine Ecosia, die für jede Suchanfrage Bäume pflanzt. Oder etwa ein Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Schulbildung von Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern oder Nachhilfeleistungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten zugänglich zu machen. Auch wenn beispielsweise die Renaturierung landwirtschaftlicher Flächen durch regenerative Landwirtschaft der Hauptzweck meines Unternehmens wäre, dann läge ich in der ersten Bewertungsperspektive „Wirkung in der Welt“ in der bestmöglichen Kategorie.
Wenn ich diesen sozial-ökologischen Kerngeschäftsinhalt dann auch noch vorbildlich in allen Aspekten entlang der Wertschöpfungskette erbringe, dann bin ich auch in der zweiten Dimension beispielgebend. Bleiben wir bei einem Unternehmen, das Nachhilfeleistungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten zugänglicher macht. Wenn ich meine Leistungen auf eine sozial-ökologisch vorbildliche Weise erbringe, also meine Angestellten besonders fair behandle und eine Cloud-Plattform nutze, die mit regenerativer Energie betrieben wird, dann bin ich auch in meiner Wertschöpfungsketten-Performance in unserer Bewertung sehr gut.
Christa: Philipp, wir wissen jetzt, wo ottonova beim Thema Nachhaltigkeit steht, eine Einordnung fehlt aber noch. Und dazu spannen wir den persönlichen Bogen zu dir: Du hast gerade zusammen mit Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, das Buch „Green Ferry“ veröffentlicht, in dem es um nachhaltiges unternehmerisches Handeln geht – und um Inseln. Magst du die Zusammenhänge erklären und auf welcher Insel sich ottonova befindet?
Philipp: Der Untertitel des Buches ist: „Das Ticket ins konsequent nachhaltige Wirtschaften“. Und genau darum geht es uns. Wie können Unternehmerinnen und Unternehmer ihr Unternehmen konsequent nachhaltig ausrichten und führen? Das beschreiben wir auf drei Ebenen. Für jede dieser drei Ebenen steht im Buch eine Inselgruppe: die normative, die strategische und die operative Inselgruppe. Nach unserer Erfahrung braucht eine gelingende Nachhaltigkeitstransformation ein abgestimmtes Handeln auf diesen drei Ebenen. Auf der normativen Inselgruppe geht es primär um die Frage, warum tue ich, was ich tue als Unternehmen oder Unternehmer:in. Was ist meine Motivation und wie schaue ich auch auf die Menschen, mit denen ich das gemeinsam erreichen möchte.
Die strategische Inselgruppe enthält acht Inseln, von der Standortbestimmung bis zur Kommunikation. Bei der Standortbestimmung geht es um genau das, was wir gerade bei ottonova gemacht haben. Die erste Station auf dem strategischen Inselatoll ist die Standortbestimmung, nämlich für sich als Unternehmer:in klar zu bekommen, wo stehe ich. Wo bin ich schon gut, wo habe ich noch Veränderungsbedarf. Die zweite Insel ist dann, sich Ziele zu setzen – ob als Klimaziel, als Biodiversitätsziel oder auf sozialer Ebene etwa die Zahlung existenzsichernder Löhne entlang der gesamten Lieferkette. Auf den weiteren sechs Strategieinseln geht es dann noch um Innovation, Transformation des existierenden Produkt- und Serviceportfolios, es geht aber auch um eine Frage wie die Rechtsform.
Auf der operativen Inselgruppe schließlich geht es dann ums Machen, ums Handeln, ums Verankern der Ziele im täglichen Tun: vom Einkauf über die Produktion bis zum Vertrieb, aber auch in den Querschnittsfunktionen wie R&D, Controlling oder HR.
Christa: Und hat sich ottonova einen festen Platz auf jeder Inselgruppe erobert?
Philipp: ottonova hat die Insel zur Standortbestimmung mit unserer Unterstützung im Rahmen der Nachhaltigkeits-Due-Diligence im wahrsten Sinne erobert. Um in der Buchsprache zu bleiben, laden wir euch nun ein, zur nächsten Insel, auf der es um das Vereinbaren von sozial-ökologischen Zielen geht, weiterzufahren. Und wenn ihr mal neue Motivation oder eine Verschnaufpause braucht, dann gibt es neben den drei Inselgruppen ja auch noch eine Bekräftigungsinsel mit einem Veränderungs-Trimm-Dich-Pfad und einem Ermutigungscafé.
Christa: Verstehe. Noch etwas Persönliches zum Schluss - Warum du, warum Better Earth?
Philipp: Mich begeistert und bewegt Nachhaltigkeit seit meiner Kindheit. In „Green Ferry“ beschreiben wir die Zukunftswirtschaft, in der unternehmerisches Handeln innerhalb der planetaren Grenzen wie Klima, Biodiversität, Frischwasser und Landnutzung und zum Wohle aller Menschen profitabel möglich ist. Im Moment verbrauchen wir 1,7 Erden, das Kontingent unserer Erde an biologischen Ressourcen für 2022 hatten wir schon Anfang August aufgebraucht. Zukunftswirtschaft indes funktioniert innerhalb der planetaren Grenzen, ohne die verfügbaren Erdkapazitäten zu übernutzen und damit auszubeuten und zu zerstören. Ich habe Better Earth gegründet, um Unternehmen bei ihrer Reise in diese Zukunftswirtschaft zu unterstützen. Meine Arbeit hat dabei immer den Anspruch, kerngeschäftsrelevant zu sein. Was ich immer toll finde: wenn sich Unternehmen vor der konsequenten Umsetzung unserer Vorschläge fragen, welche Veränderung werden die Kundinnen und Kunden positiv bemerken? Zugespitzt auf ottonova heißt das: Ich merke als Kundin oder Kunde, dass ich Top-Service mit überdurchschnittlichen Gesundheitsergebnissen für mich bekomme, gleichzeitig ein gutes Gewissen habe und mich am Austausch mit glücklichen ottonova-Mitarbeitenden freuen kann.
Christa: Vielen Dank für das Gespräch, Philipp.
*Das Interview wurde im November 2022 geführt.Weiterlesen
Der zweite Punkt ist dann die Nachhaltigkeitsleistung entlang der Lieferkette, also wie erbringt ihr eure Versicherungsleistungen. Da geht es zum Beispiel darum: wie nachhaltig sind eure Server, wie nachhaltig sind eure Offices, wie nachhaltig ist all das, was ihr zum Anbieten eurer Produkte und Services braucht.
„Wir sehen uns als digitaler Vorreiter in der privaten Krankenversicherung. Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die Themen der Stunde. Nachhaltigkeit hat für uns eine strategische Bedeutung, wir integrieren ESG-Themen in unsere Strategiebildungsprozesse, sie sind Teil des Purpose von ottonova als Organisation. Jede Innovation und Prozessoptimierung bekommt damit eine zusätzliche Dimension und wirkt damit nach innen in die Unternehmenskultur und nach außen im Auftritt gegenüber unseren Stakeholdern. Unseren Kundinnen und Kunden begegnen wir mit unserer serviceorientierten Gesundheitsversorgung digital, mobil, auf Augenhöhe und nachhaltig.“
Warum Nachhaltigkeit?
Ernährung macht 16 % unseres CO2-Abdrucks aus.
Vegetarier:innen verursachen 50 % weniger CO2.
des CO2-Ausstoßes im Alltag verursachen wir durch Heizung und Strom.
der CO2-Bilanz induzieren wir durch Verkehr und Reisen.
der CO2-Bilanz stoßen wir durch Konsum und Freizeit aus. Das sind über 20 % .
Nachhaltigkeit orientiert sich an ESG-Kriterien. E steht für Environment (Umwelt), S für Social (Soziales) und G für Gouvernance (Unternehmensführung).
Welche Emissionen werden bei der Klimabilanzierung betrachtet?
Die Gesamtemissionen wurden in drei Kategorien (Scopes) unterteilt.
Umfasst alle Emissionen, die direkt von ottonova selbst erzeugt werden, z.B. durch firmeneigene Anlagen oder Fahrzeugflotten.
Listet Emissionen auf, die durch eingekaufte Energie, z.B. Strom, Fernwärme, etc. entstehen.
Umfasst indirekte Emissionen, z.B. durch den Arbeitsweg der Mitarbeiter oder eingekaufte Dienstleistungen.
... in Europa jeder durchschnittlich 8,7 t CO2 pro Jahr verursacht. Unsere Emissionen entsprechen dem CO2-Fußabdruck von 26 Europäer:innen.