ottonova Interview: Wie funktioniert Vitalparametermessung im Ohr?
"Die Überwachung von Vitalparameter auf einer ganz neuen Ebene." Wir haben mit CEO und Mitgründerin Greta Kreuzer von cosinuss° darüber gesprochen, wie die Vitalparametermessung im Ohr funktioniert. Außerdem geht es darum, wie Menschen Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen können.
Inhalt des Ratgebers
ottonova:
Frau Kreuzer, Sie sind Mitgründerin von cosinuss°. Vielleicht starten wir ganz allgemein: Was macht cosinuss° aus?
Greta:
Wir entwickeln mobile, tragbare Sensoren, die im Ohr Vitalparameter des Menschen kontinuierlich messen können. Wir sind damals im Sportbereich gestartet. Wir haben für Leistungssportler Sensorik entwickelt und unter Extrembedingungen getestet. Mittlerweile sind wir so weit, dass Feuerwehrmänner und Einsatzkräfte die Sensoren tragen.
Warum machen wir das? Weil wir nach Möglichkeiten und einer Technologie gesucht haben, damit Menschen im Alltag relevante Vitalparameter messen können. So können wir ihnen ein Grundverständnis für ihren Körper geben, um auch selber erkennen zu können, wenn etwas mit den eigenen Werten nicht stimmt.
Wir wollen den Menschen ein Werkzeug zur Gesundheitsprävention an die Hand geben.
Wenn ich von Vitalparametern spreche, meine ich Körpertemperatur, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz und auch Blutdruck. Aktuell messen wir aber noch keinen Blutdruck.
Wir sind 2011 gestartet. Und dann kam dieser riesen Hype um diese Kontroll- und Fitnessarmbänder. Was ein nettes Gadget ist, aber im Grunde liefert es keine echte Aussage in Bezug auf meine Gesundheit. Dafür brauche ich verlässliche Daten.
ottonova:
Und die Messung im Ohr liefert diese relevante Aussage?
Greta:
Wir messen im Gehörgang. Das ist einer unserer Alleinstellungsmerkmale, würde ich sagen. Warum im Gehörgang? Weil das wirklich – ich würde mal behaupten – die beste Stelle am Körper ist nicht invasiv zu messen.
Die Sensorik misst sehr nah am Hypothalamus, dem körpereigenen Temperaturregler im Gehirn. Das heißt, wir messen eine sehr ähnliche Temperatur wie auch das Steuerorgan des Körpers.
Pulsfrequenz, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz messen wir – wie viele andere Unternehmen auch – mit optischer Messung. Das heißt wir strahlen Licht ins Gewebe und schauen, was zurückkommt. Diese Daten nutzen wir, um die Vitalparameter zu berechnen.;
Für optische Messungen ist es entscheidend, dass kein störendes Licht einfällt und dass möglichst wenig Bewegung während der Messung stattfindet. Hier hat der Gehörgang im Vergleich zum Handgelenk natürlich viele Vorteile und eignet sich besser für die optische Messung.
Das ist auch die Technik, mit der heute Covid-19-Patienten gemonitort bzw. überwacht werden.
Jetzt sprechen Sie die aktuelle Covid-19-Studie an. Wie genau hilft das Monitoring in der Covid-19-Therapie?
Greta:
Unsere Sensorik kommt in einer Studie am Klinikum rechts der Isar in München zum Einsatz, die von Prof. Dr. Schmidt geleitet wird.
Es geht darum Covid 19-positive Patienten, die zur Risikogruppe gehören (über 60) und deren Zustand nicht so schlimm ist, dass man sie sofort ins Krankenhaus einliefern muss, zu Hause mit einem stationären Empfangsgerät durchgehend zu monitoren. Wir messen alle 15 Minuten für drei Minuten die Vitalparameter und übertragen diese Daten an ein Kontrollzentrum im Klinikum rechts der Isar. Dort werten Fachkräfte unter der Leitung von Medizinern die Daten aus und wenn es eine Verschlechterung gibt, nehmen sie Kontakt zu den Patienten auf.
Dann können diese Patienten früh genug ins Krankenhaus eingewiesen werden. Die Mediziner gehen nämlich davon aus, dass der Zeitpunkt der Einweisung entscheidend für den Verlauf der Krankheit ist. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes verläuft recht schnell. Da entscheiden wirklich Minuten, ob dieser Patient am Ende beatmet werden muss und sogar welche Überlebenschancen der Einzelne hat.
ottonova:
Abgesehen vom Medizinbereich. Wo sehen sie da noch Use Cases für die Vitalparametermessung?
Greta:
Unser Fluch und unser Segen zugleich ist, dass man damit so viel machen kann. Es gibt wirklich eine Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten. Unter anderem Stressmessung und Müdigkeitsmessung, zum Beispiel beim Autofahren. Dann aber auch Fruchtbarkeitsbestimmung. Denn die Basaltemperatur der Frau kann ein Hinweis dafür sein, wann der Eisprung passiert.
Wir haben auch ein Fieberthermometer für Kinder entwickelt. Unsere App-Entwickler programmieren hierfür das Front End und unsere Sensoren liefern die Daten.
Wir müssen Ärzte, Krankenversicherungen und natürlich die Nutzer irgendwie zusammenbringen und alle gleichzeitig überzeugen. Da sind wir dran.
Auch für uns als Versicherung ist es natürlich immer interessant, gerade den Vorsorgeaspekt in den Blick zu nehmen. Und da können Wearables ja enorm helfen, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.
Greta:
Genau und was auch sinnvoll wäre, wenn wir so weit kommen, dass auch Ärzte auf diese Daten vertrauen können. So haben sie nicht nur eine Momentaufnahme in der Praxis, sondern eine komplexe Historie der Vitalparameter. Das macht natürlich einen enormen Unterschied in der Diagnostik.
SHARE
ottonova:
Das entlastet ja auch das Gesundheitssystem ein Stückweit, wenn die Patienten aktiv am Diagnose-und Therapieprozess teilnehmen, indem sie sich eben selbst überwachen.
Greta:
Genau. Im Optimalfall würden die Patienten nur dann zum Arzt gehen, wenn es wirklich notwendig ist.
Es wäre schön, wenn unser Gesundheitssystem eben kein Krankheitssystem ist, sondern wirklich ein Gesundheitssystem, das präventiv denkt.
Daten schwarz auf weiß zu haben ist dann ja vielleicht auch ein Anreiz dafür, etwas für die eigene Gesundheit zu tun und zu merken, dass sich die Daten verbessern?
Greta:
Ja. Wir hatten mal die Idee, ein Projekt für COPD-Betroffene zu starten. Das ist eine Lungenkrankheit. Das Einzige, was diesen Menschen wirklich hilft, neben Medikamenten, ist Sport. Sie müssten sich bewegen. Logischerweise ist es für sie aber besonders anstrengend, weil sie nicht genug Sauerstoff kriegen. Und hier hatten wir eben die Idee mit der Sensorik und einer App zu versuchen diese Menschen a) zu motivieren, indem Übungen vorgeschlagen werden, die sie körperlich bewältigen können.
Und b) sie dann auch kontinuierlich zu monitoren und zu überprüfen, dass die Sauerstoffsättigung nicht zu niedrig wird und sie Gefahr laufen in Ohnmacht zu fallen.
Es ging ebenfalls darum zeigen zu können, dass regelmäßiger Sport einen positiven Einfluss hat: Ihre Parameter verbessern sich und sie fühlen sich auch besser.
Leider haben wir die erforderlichen Mittel dafür noch nicht bekommen. Aber dieses Modell könnte man auf recht viele chronische Krankheiten genauso anwenden.
ottonova:
Das zeigt ja auch die große Bandbreite, wo solche Ansätze des Monitorings sinnvoll sind. Würden sie es denn auch für sinnvoll halten, beispielsweise finanzielle Anreize durch Versicherungen oder den Gesetzgeber für Prävention zu setzen?
Greta:
Am Schönsten wäre natürlich eine intrinsische Motivation, möglichst ohne äußere Anreize. Aber das ist wahrscheinlich eine Lebenseinstellung, die nicht so einfach zu ändern ist.
ottonova:
cosinuss° könnte also als Beitrag verstanden werden, diese intrinsische Motivation zu stärken?
Greta:
Ja. Ich versuche auch ein Vorbild zu sein.
ottonova:
Das ist doch ein sehr schönes Schlusswort. Danke für das Gespräch!
Was ist cosinuss°?
Die Cosinuss GmbH, 2011 gegründet, ist ein in München ansässiges Technologie-Unternehmen. Es entwickelt mobile Sensoren, die im Ohr Vitalparameter des Menschen kontinuierlich messen und für verschiedenste Anwendungszwecke im Bereich der Medizin, des Sports und Gesundheitsprävention zur Verfügung stellen.
Wer ist Greta Kreuzer?
Greta ist Mitbegründerin und CEO von cosinuss °. Sie hat einen wirtschaftlichen Hintergrund und Unternehmertum im Blut. Sie liebt Sport und unterstützt einen gesunden Lebensstil.
HIER SCHREIBTMarie-Theres Rüttiger
Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.