Stresshormone haben keinen guten Ruf – sie machen nervös, fahrig und weil der Blutzucker in stressigen Situationen steigt, gelten sie obendrein als Dickmacher. Doch was passiert bei Stress wirklich im Körper? Und: Kann man Cortisol & Co. vielleicht sogar clever nutzen?
Fachlich geprüftvon Psychologin Sophie Schürmann
9 Uhr morgens: Völlig gehetzt stolperst du ins Meeting. Dein Sohnemann hatte sich zum Abschied auf dich gestürzt und dein Hemd mit Nutella beschmiert („Schau mal, Papa, ich bin ein Tiger!“) und trotz eines rekordzeitverdächtigen Garderobenwechsels hast du die U-Bahn verpasst. Jetzt stehst du leicht hektisch und schwitzend vor dem Vorstand und sollst eine Präsentation über eure neueste Produktinnovation halten. Wie soll das gehen, so vollgepumpt mit Stresshormonen, dass du sie förmlich in den Fingerspitzen prickeln spürst?
Einsatz für die Spezialtruppe: Was bei Stress im Gehirn passiert
In stressigen Situationen schaltet dein Körper auf seine Ur-Instinkte um. Um dich für Kampf oder Flucht zu rüsten, werden verschiedene Regionen im Gehirn aktiviert. Sie veranlassen die Ausschüttung eines wahren Power-Elixiers, das unter anderem deinen Herzschlag beschleunigt, deine Muskeln mit Sauerstoff versorgt und die Grundbedürfnisse deines Körpers – etwa nach Schlaf oder Nahrung – unterdrückt. Dieses Power-Elixier besteht aus den Stresshormonen Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin.
Wenn du bei deiner Präsentation nervös und mit verschwitzten Händen vor dem Vorstand stehst, liegt es daran, dass deine Amygdala in Alarmbereitschaft versetzt wurde. Bestehend aus zwei kleinen, mandelförmigen Komplexen aus Nervenzellen im Hirninneren, steuert die Amygdala deine körperliche und psychische Reaktion auf Stress.
Gewissermaßen als „schnelle Einsatztruppe“ gegen die drohende Gefahr mobilisiert sie Adrenalin und Noradrenalin, Hormone, die in der Nebenniere ausgeschüttet werden. Nun fordert die Amygdala über den Hypothalamus Verstärkung an, die etwa 20 bis 30 Minuten nach den Stresshormonen Adrenalin und Noradrenalin eintrifft: das Hormon Cortisol.
Welche Auswirkung hat Cortisol auf den Körper?
Cortisol wirkt wie ein Aufputschmittel – seine Aufgabe ist es, bei Stress Energie in Form von Glukose bereitzustellen. Um dich für Kampf oder Flucht zu wappnen, sorgt das Stresshormon dafür, dass in deinem Körper so einiges passiert:
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Deine Immunabwehr kommt deshalb auf Trab, damit Wunden, die du dir im hypothetischen „Kampf“ zuziehst (ja, der Körper ist da etwas paranoid), schneller heilen können. Diese Körperreaktionen sind bei Gefahr unbezahlbar, sogar überlebenswichtig.
Doch wenn du ständig von einer Stresssituation in die nächste hetzt – vom Meeting zur nächsten Deadline, von der Kindergeburtstagsparty zum Wochenendtrip mit Freunden – bleibt dein Cortisolspiegel dauerhaft erhöht. Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Cortisol deinen Körper angreift.
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Zudem kann Cortisol eine Wirkung auf die Psyche haben – das Stresshormon wird häufig mit Erschöpfung und depressiven Verstimmungen in Verbindung gebracht.
Schlechte Blutwerte durch Stress: Wenn Stresshormone gefährlich werden
Im Laufe des Tages variiert der Cortisolwert im Körper. Morgens erreicht er in der Regel sein Maximum, während er abends gegen 22 Uhr am niedrigsten ist. Im Blut eines Erwachsenen sollte der Cortisolwert um acht Uhr morgens zwischen 4 und 22 µg/dl (Mikrogramm pro Deziliter) liegen, um Mitternacht zwischen 0 und 5 µg/dl.
Mikrogramm pro Deziliter
4 µg/dl entsprechen 0,004 Milligramm pro Liter (mg/l). Der Cortisolwert im Blut wird in µg/dl angegeben, im Speichel in der Einheit nmol/l.
Neben dem Blut lässt sich das Cortisol auch in Speichel oder Urin messen. Ist der Wert dauerhaft zu hoch, spricht der Fachmann von Hypercortisolismus oder Cushing-Syndrom. Dieses äußert sich unter anderem durch Osteoporose und einen Abbau der Muskulatur. Auch die Gewichtszunahme am Körperstamm, etwa im Gesicht, ist ein Symptom für erhöhtes Cortisol.
Übrigens kann auch die langfristige und hochdosierte Einnahme von Cortison, einem Medikament, das auf dem Hormon Cortisol basiert, zu einer Verschlechterung der Blutzucker-Stoffwechsellage und einem Cortisolüberschuss führen. Ist dagegen chronisch zu wenig Cortisol im Körper vorhanden, kann die Funktion der Nebennierenrinde gestört sein. Typische Symptome bei einem Mangel an Cortisol zeigen sich durch niedrigen Blutdruck, Schwäche, Übelkeit und Leistungsabfall.
Mit einem Cortisol-Test aus der Apotheke kannst du herausfinden, ob deine Werte im Normalbereich liegen – dies kann als Basis für eine weitere Behandlung dienen. Zum Glück reichen jedoch meist diese Erste-Hilfe-Maßnahmen gegen Stress.
5 geniale Tricks, mit denen Stresshormone keine Chance haben
Cortisol abzubauen ist nicht nur gesund, sondern hat obendrein eine Figur freundliche Nebenwirkung. Ist der Körper nämlich nicht mehr in Alarmbereitschaft, gibt es keinen Grund, Glucose und Fettsäuren für Kampf oder Flucht freizusetzen. Das Cortisol im Körper zu senken hilft also auch beim Abnehmen.
Diese Tipps helfen dir dabei, deine Cortisolwerte langfristig zu reduzieren:
But least – coffee. Koffein führt zu einer erhöhten Cortisolausschüttung. Wenn du ohnehin gestresst bist, solltest du auf den Wachmacher lieber verzichten. Beruhigende Nachricht für alle Kaffeejunkies: Je mehr du an Kaffee gewöhnt bist, desto weniger hebt er dein Cortisollevel – immerhin.
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Bist du ein Kaffejunkie? Sehr gut, dann senkst du mit jeder einzelnen Tasse dein Cortisollevel.
Trink den Stress weg. Bei Stress schwitzt du mehr, dein Atem geht schneller, der Herzschlag ist erhöht. Du verlierst Wasser. Doch genau das braucht der Körper dringend, um reibungslos zu arbeiten. Einer Studie zufolge kann bereits ein halber Liter Wassermangel für einen zu hohen Cortisolspiegel sorgen. Also, ran an die Wasserflasche – fülle deinen Flüssigkeitshaushalt auf. So ist dein Körper für potenzielle Stressattacken gerüstet.
Treibe Sport und regeneriere dich. Sport ist ein hervorragendes Mittel, um Stress abzubauen, denn es entspricht deinen Ur-Instinkten von Kampf und Flucht. Doch auch bei Sport steigt nach etwa 45 Minuten der Cortisolspiegel – das System wird gestresst. Wichtig ist daher, nach dem Sport eine Ruhepause einzulegen, damit der Körper das Hormon wieder abbauen kann.
Wecke den Yogi in dir. Professor Arndt Büssing vom Lehrstuhl für Gesundheit an der Universität Witten/Herdecke bewies in einer Studie, dass sich die Yoga-Praxis günstig auf Stress, Ängstlichkeit und leichte Depressionen auswirkt. Schon nach wenigen Wochen intensiver Praxis berichteten die Studienteilnehmer von gesteigerter Zufriedenheit, Entspannung und einer positiveren Lebenseinstellung.
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Yoga senkt dein Stresslevel und hebt die Zufriedenheit.
Lausche und entspanne. Musik ist ein jahrhundertealtes Mittel, um Krankheiten zu lindern. Studien haben erwiesen, dass Musik vor und nach einer Operation Stress und Angstgefühle bei Patienten verringerte. Bei älteren Patienten minderte sie erfolgreich Depressionen und bei Krebspatienten, die unter seelischer Belastung litten, steigerte Musik die Lebensqualität.
Nutze die Kraft des Power-Elixiers
Cortisol, so viel ist inzwischen klar, ist per se nichts Negatives, sondern ein lebenswichtiges Hormon ohne das du nicht in der Lage wärst, unter Stress zu agieren. Vor allem aber ist Stress eine Sache der Einstellung. In einer Studie der University of California beispielsweise erzielten Studenten, die vor einem Test von der leistungsfördernden Wirkung von Stress unterrichtet wurden, deutlich bessere Ergebnisse als ihre Kommilitonen.
Unser Key-Takeaway lautet daher: Sei dir über das Zusammenspiel von Stresshormonen in deinem Körper bewusst, steuere mit unseren Erste-Hilfe-Tipps gegen und vor allem: Führe dir vor Augen, dass du das Power-Elixier in deinem Körper auch sinnvoll für produktives und leistungsstarkes Handeln nutzen kannst – der Schlüssel dafür ist eine positive Haltung zu Stress.
Sophie ist Psychologin und Digital Health Enthusiastin. Nach ihrem Master in Business Psychology und verschiedenen Stationen in der Forschung und in der freien Wirtschaft, gründete sie gemeinsam mit Julia Maria Rüttgers und Maximilian Kirschning das Health Start-ups peers. Eine digitale Plattform, die Menschen den Zugang zu professioneller psychologischer Unterstützung vereinfachen möchte.
Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.