Clean Meat – Ist Laborfleisch die Zukunft?
Es bahnt sich eine Revolution unserer Ernährung an: Fleisch soll demnächst aus dem Labor kommen. Doch ist künstlich gezüchtetes Muskelgewebe aus der Petrischale gesund? Ermöglicht seine Herstellung tatsächlich eine tierleidfreie Fleischproduktion? Diese und weitere Fragen rund um das „Fleisch 2.0“ beantworten wir im Folgenden.
Was ist In-vitro-Fleisch?
Den Begriff „in vitro“ hast du vielleicht schon einmal gehört. Er stammt aus dem Lateinischen, bedeutet übersetzt „im Glas“ und bezeichnet organische Vorgänge, die außerhalb des Körpers stattfinden – also beispielsweise im Reagenzglas.
In letzter Zeit liest man immer wieder von In-vitro-Fleisch. Gemeint sind damit tierische Muskelzellen, die im Labor gezüchtet und zu Fleischprodukten wie Burgern und Chicken Nuggets weiterverarbeitet werden. Etwa 70 bis 80 Start-ups forschen derzeit weltweit an diesem neuartigen Lebensmittel, das eines Tages den Fleischhunger der Menschen zu großen Teilen stillen soll (1). Das Ziel: Ein hochwertiges und zugleich erschwingliches Produkt, das ohne den Tod von Kühen, Schweinen, Fischen oder Hühnern hergestellt wird. Durch die Entwicklung von In-vitro-Fleisch soll die Massentierhaltung eingedämmt werden, wodurch Treibhausgasemissionen reduziert werden könnten.
Ist Laborfleisch echtes Fleisch?
Ja, Laborfleisch besteht aus echten tierischen Zellen. Die Zellkulturen wachsen in einer Nährlösung in einem Behälter heran – dem sogenannten Bioreaktor. Vergleicht man die Gewebezüchtung aus dem Labor mit den Muskelzellen eines geschlachteten Tieres, so ist kein Unterschied zu erkennen. Doch damit das Ergebnis am Ende auch wirklich wie echtes Fleisch schmeckt, wird zum gezüchteten Muskel noch eine bestimmte Menge an Fett gemischt. Ist das Verhältnis von Muskeln und Fett ausgeglichen, merkt man beim Verzehr tatsächlich keinen Unterschied zwischen dem Laborfleisch und dem Muskelfleisch eines geschlachteten Huhns oder Rinds. Für strenge Vegetarier:innen oder gar Veganer:innen dürfte Laborfleisch daher keine Option sein.
Gut zu wissen:
Bisher ist den Forschern nur die Herstellung von sogenanntem „unstrukturierten Fleisch“ gelungen. Es müssen also viele sehr dünne Fleischschichten gezüchtet und anschließend zu einer Masse zusammengemischt werden. Sind die Muskelfasern des In-vitro-Fleisches ausgereift, werden sie mithilfe eines Fleischwolfs zu Hackfleisch oder Wurst weiterverarbeitet. Die Produktion eines einzelnen Fleischstücks im Labor, etwa eines kompletten Steaks oder Filets, ist – Stand heute – noch nicht möglich.
Was versteht man unter Clean Meat?
Clean Meat bedeutet übersetzt „sauberes Fleisch“. Wenn du diesen Suchbegriff bei Google eingibst, erhältst du derzeit etwa 891.000.000 Ergebnisse. Doch was hat es mit Clean Meat überhaupt auf sich? Ist Laborfleisch wirklich „sauber“?
Grundsätzlich hat die Bezeichnung eine gewisse Berechtigung, schließlich wird das Lebensmittel unter kontrollierbaren Bedingungen im Labor erzeugt. Experten gehen davon aus, dass die Herstellung von Laborfleisch weniger keimanfällig ist als die konventionelle Massentierhaltung, Schlachtung und Fleischproduktion. Dadurch könnte die Gabe von Antibiotika reduziert werden, was wiederum das Risiko senken würde, dass sich gefährliche resistente Keime bilden.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Verbraucherzentrale kritisiert den Begriff Clean Meat als irreführend, da er suggeriere, dass mit derartigen Produkten ethisch korrekter Fleischkonsum ohne Tierleid möglich sei (2). Das stimmt jedoch nicht: Unter Anwendung der derzeitigen Techniken müssen noch Tiere verletzt und meist sogar getötet werden, um die Stammzellen und die Nährlösung für die Laborfleisch-Produktion zu gewinnen.
Wie wird Laborfleisch hergestellt?
Zunächst wird einem lebenden Rind Muskelgewebe entnommen, um daraus adulte Stammzellen zu gewinnen. Das Tier muss für diese Prozedur nicht getötet werden, doch es ist davon auszugehen, dass die Biopsie durchaus schmerzhaft ist.
Die auf diese Weise gewonnene Gewebeprobe wird in eine Lösung aus Aminosäuren, Mineralien, Spurenelementen, Zuckermolekülen und Vitaminen gegeben. Stammzellen sind in der Lage, auch außerhalb des Körpers neues Gewebe zu produzieren – sofern dafür die richtigen Bedingungen herrschen. Benötigt werden eine sterile Umgebung, warme Temperaturen, die der Körpertemperatur des Tieres entsprechen und natürlich Nahrung.
Über die Zellwände neben die Stammzellen die Nährstoffe aus der Lösung auf, in der sie schwimmen. Zusätzlich geben die Forscher ein spezielles Wachstumsserum in den Bioreaktor. Und hier liegt eines der Probleme, die die Kunstfleisch-Produktion derzeit noch hat: Um die Stammzellen zu füttern, wird das Blut ungeborener Kälber benötigt. Für die Gewinnung des sogenannten fetalen Kälberserums muss eine trächtige Kuh geschlachtet werden. Aus dem noch schlagenden Herzen des ungeborenen Kälbchens wird Blut entnommen – der Fötus stirbt dabei ab. Für viele Vegetarierinnen, Veganer und Tierliebhaber ist ein solcher Umgang mit Tieren indiskutabel, weshalb intensiv an Alternativen zum Kälberserum geforscht wird. Es ist gut möglich, dass das Kälberblut bald durch Algen- oder Pilzextrakte ersetzt wird.
Analog dazu werden im Labor tierische Fettzellen gezüchtet, die dann mit den Muskelzellen vermengt werden. Dadurch soll das Kunstfleisch in Optik, Konsistenz und Geschmack möglichst nah an das Vorbild herankommen. Wie bereits erwähnt, lassen sich auf diese Weise bisher nur unstrukturierte Fleisch- und Wurstwaren herstellen, etwa Hackfleisch oder Chicken Nuggets. Für ein größeres, zusammenhängendes Stück, etwa ein Steak, müssten die Zellen dreidimensional wachsen können – am besten entlang einer skelettähnlichen Struktur. Damit dies in Zukunft möglich ist, experimentieren einige Start-ups mit 3D-Druckern und anderen innovativen Techniken.
Welche Unternehmen stellen In-vitro-Fleisch her?
Damit wir bald mit (halbwegs) gutem Gewissen Fleisch essen können, wird weltweit eifrig geforscht. Dem Start-up Eat Just aus San Francisco ist bereits ein bedeutender Meilenstein gelungen: Seine Hähnchen-Nuggets waren 2020 das erste synthetisch hergestellte Fleischprodukt aus echten Muskelzellen, dem eine Marktzulassung erteilt wurde. Seither wird das In-vitro-Fleisch des Unternehmens in Restaurants in Singapur serviert (3). Auch in einigen israelischen Lokalen steht bereits Laborfleisch auf der Speisekarte. Hier forschen vor allem die Start-ups Aleph Farms und Supermeat nach neuen Wegen, Fleisch in der Petrischale zu züchten.
Auch Memphis Meats Erfolge lassen aufhorchen. Als das amerikanische Start-up im Frühling 2020 Investoren suchte, stiegen gleich zwei weltbekannte Milliardäre ein – Microsoft-Gründer und Autor Bill Gates sowie Virgin-Records-Boss Richard Branson (4). Leonardo DiCaprio, der nicht nur als Hollywood-Star, sondern auch als prominenter Umweltschützer immer wieder für Schlagzeilen sorgt, hat in die israelische Laborfleisch-Firma Aleph Farms und in das niederländische Unternehmen Mosa Meat investiert.
Was kostet Fleisch aus dem Labor?
Als der niederländische Pharmakologie-Professor Mark Post im Jahr 2013 seinen ersten Labor-Burger der gespannten Weltöffentlichkeit präsentierte, war der errechnete Preis dafür astronomisch hoch. Etwa 250.000 Euro war das Ergebnis seiner jahrelangen Forschung wert – und damit alles andere als massentauglich. Mark Post gründete das Unternehmen Mosa Meat, verfeinerte die Herstellungsweise von In-vitro-Fleisch und hofft, eines Tages Labor-Burger für neun Euro pro Stück anbieten zu können.
Die synthetischen Chicken Nuggets, die derzeit in Singapur verkauft werden, sind zusammen mit einer Beilage aus asiatischen Teigtaschen für knapp 15 Euro zu haben. Allerdings wird das Laborfleisch hier mit Proteinen aus pflanzlicher Quelle gestreckt – das Mischverhältnis ist geheim. Daher lässt sich der exakte Preis für das Fleisch aus dem Labor nicht genau berechnen. Auf lange Sicht ist allerdings geplant, Laborfleisch günstiger als Fleisch von geschlachteten Tieren verkaufen zu können.
Wie sieht die Umweltbilanz von Laborfleisch aus?
Erste Studien sahen großes Potenzial in Laborfleisch. Im Vergleich zu industrieller Tierhaltung sei die Herstellung von In-vitro-Fleisch wesentlich besser für die Umwelt, hieß es zunächst: 78 bis 96 Prozent weniger Treibhausgasemissionen sollten anfallen, prognostizierte eine Studie der Universitäten Amsterdam und Oxford. Außerdem sollten bis zu 96 Prozent weniger Wasser und sogar 99 Prozent weniger Fläche benötigt werden.
Da Laborfleisch noch nicht für den Massenmarkt produziert werden kann, handelt es sich bei diesen Zahlen um Schätzungen. Nachfolgende Studien sehen die Umweltbilanz von synthetischem Fleisch weit weniger positiv – schließlich müssen die Bioreaktoren warm gehalten werden, was jede Menge Energie kostet. Es ist daher möglich, dass die Laborfleisch-Produktion sogar schädlicher für die Natur und das Klima ist als die konventionelle Massentierhaltung. Lediglich beim Flächenverbrauch schneidet Kunstfleisch definitiv besser ab als herkömmlich produziertes Fleisch.
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Ist Laborfleisch gesünder?
Bislang gibt es keine Studien und keine Ernährungshinweise dazu, ob Laborfleisch gesünder als herkömmliches Fleisch ist. Da sich die künstlich hergestellten Zellen nicht von natürlich gewachsenen unterscheiden, dürften die ernährungsphysiologischen Vorteile wohl marginal sein.
Durch den reduzierten Einsatz von Antibiotika könnte Laborfleisch unterm Strich jedoch etwas besser abschneiden als Fleisch von geschlachteten Tieren. Zudem könnte man im Labor auf eine optimale Zusammensetzung des In-vitro-Fleisches achten und beispielsweise weniger Fett und mehr Nährstoffe zugeben (5).
Wie schmeckt Laborfleisch?
Wenn man sich das Aussehen von Laborfleisch und eines von einem echten Stück Fleisch ansiehst, wirst du wahrscheinlich keinen Unterschied bemerken. Ähnlich ist es beim Geschmack: Da In-vitro-Fleisch das im Körper von Tieren gewachsene Fleisch exakt nachbildet, ist auch hier in der Regel kein Unterschied feststellbar. Entscheidend ist vor allem das Mischverhältnis von künstlich hergestellten Muskeln und Fett.
Paul Shapiro, ein Autor und Experte für In-vitro-Fleisch, antwortete im Gespräch mit der Berner Zeitung auf die Frage, ob Laborfleisch wirklich wie Fleisch schmecke: „Natürlich, es ist ja auch kein Ersatzprodukt, sondern es ist richtiges Fleisch. Bloß dass es im Labor wächst, anstatt dass dafür geschlachtet wird. Aber es sind dieselben Zellen.“ (6)
Wann wird Laborfleisch massentauglich?
Unternehmen, die derzeit an Laborfleisch forschen, geben einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren an, um ihre Produkte massentauglich zu machen. Unabhängige Experten sind in ihren Prognosen weniger optimistisch. Dazu kommt: Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) wird synthetisch hergestellte Fleischprodukte auf Herz und Nieren prüfen, bevor sie eine Zulassung für die EU erteilt. Hierzulande wird es also auf jeden Fall noch mehrere Jahre dauern, bis wir Labor-Fleisch im Markt kaufen oder im Restaurant probieren können.
Warum sind Fleisch-Alternativen so wichtig?
Produkte wie der vegane Next-Level-Burger haben einen regelrechten Hype um Fleischalternativen ausgelöst. Denn immer mehr Menschen wollen sich umwelt- und klimafreundlich ernähren – den Fleischkonsum einzuschränken, ist da ein wichtiger Maßstab. Schließlich gehen laut UN 14,5 Prozent der weltweit durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf das Konto der Nutztierhaltung (7).
Fazit: Ist Laborfleisch das Fleisch der Zukunft?
Noch ist die Technologie, um Laborfleisch für den Massenkonsum zu erzeugen, nicht ausgereift. Daher können derzeit keine validen Aussagen über dessen Vorteile getroffen werden. Doch aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung geht die Welternährungsorganisation FAO davon aus, dass die Nachfrage nach Fleisch bis 2050 um 70 Prozent steigen wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Laborfleisch bis dahin zu einer guten Möglichkeit geworden ist, den Hunger (nach Fleisch) zu stillen.
Quellenangaben
(1) Stern: Laborfleisch auf dem Vormarsch: Kommen Burger schon 2030 aus der Petrischale?, www.stern.de/genuss/laborfleisch-auf-dem-vormarsch—kommen-burger-bald-aus-der-petrischale--30695270.html, aufgerufen am 15. November 2021
(2) Verbraucherzentrale: Clean Meat – Ist Laborfleisch die Zukunft?, www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/clean-meat-ist-laborfleisch-die-zukunft-65071, aufgerufen am 15. November 2021
(3) Tagesschau: Fleisch aus dem Labor – Steak ohne Schlachten, www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/der-grosse-appetit-auf-fleisch-aus-dem-labor-101.html, aufgerufen am 15. November 2021
(4) Welt: Clean Meat; Schnitzel essen ohne Sünde – jetzt beginnt die Laborfleisch-Ära, www.welt.de/wirtschaft/article230832431/Clean-Meat-Jetzt-beginnt-die-echte-Fleischlos-Aera.html, aufgerufen am 15. November 2021
(5) Verbraucherzentrale Hamburg: Ernährungstrends; Laborfleisch, In-vitro-Fleisch, Clean Meat – Fleisch der Zukunft?, www.vzhh.de/themen/lebensmittel-ernaehrung/ernaehrungstrends/laborfleisch-vitro-fleisch-clean-meat-fleisch-der-zukunft, aufgerufen am 15. November 2021
(6) Berner Zeitung: Interview mit Laborfleisch-Experte, „Der Preis ist um über 99,9 Prozent gesunken“, www.bernerzeitung.ch/sie-essen-jetzt-schon-staendig-lebensmittel-aus-dem-labor-189671515175, aufgerufen am 15. November 2021
(7) Klima Arena: Klimafaktor Fleisch: Wie klimaschädlich ist Fleischkonsum wirklich?, klima-arena.de/die-klima-arena/klimaneutral/klimafaktor-fleisch/, aufgerufen am 15. November 2021
HIER SCHREIBT
Natalie Decker
Natalie arbeitet seit 15 Jahren als Redakteurin. Neben Lifestyle-Themen wie Kochen und Reisen gehören Medizin & Gesundheit zu ihren Schwerpunkten. Sie schreibt unter anderem für das Online-Portal gesund-vital.de und den Ratgeber-Verlag Gräfe und Unzer.