Psychotherapie & KI: Interview mit Eva Gjoni von senseven
Ki in der Psychotherapie klingt nach Science-Fiction? Nein! Wir haben mit Psychologin Eva Gjoni darüber gesprochen, wie neue Therapiekonzepte mit Hilfe von Daten die psychotherapeutische Versorgung verbessern können.
Inhalt des Ratgebers
ottonova: Eva, als wir das letzte Mal gesprochen haben, war die Corona-Pandemie noch in vollem Gange und ihr hattet gerade eine Plattform für Videopsychotherapie ins Leben gerufen: „bleib psychisch gesund“ und das Projekt mAIdncraft gestartet, das KI mit Psychotherapie verband. Seitdem ist viel passiert. Erzählst du uns wie es weiter ging?
Eva: Gerne. Nachdem wir „bleib psychisch gesund“ ins Leben gerufen hatten, eine kostenlose Hotline mit Live-Beratungssitzungen per Videotelefonat, weil wir den Bedarf an schneller psychischer Hilfe gesehen haben, haben wir mit mAIndcraft ein mögliches Geschäftsmodel für Psychotherapie und KI ausgelotet. Daraus ist mittlerweile Senseven entstanden. Eine Plattform, die Patienten und Patientinnen mit passenden Therapeutinnen und Therapeuten mit Hilfe von KI matcht. Zusätzlich haben wir auch eine App entwickelt, die die Therapie begleitet, um damit den Therapieerfolg zu erhöhen.
Die Nachfrage nach psychotherapeutischer Unterstützung ist seit der Pandemie und aufgrund der anhaltend herausfordernden Zeiten deutlich gestiegen, während ihre langfristigen Auswirkungen weiterhin spürbar sind. Der Bedarf an nachhaltigen und effektiven Lösungen wächst. Doch der Zugang zur richtigen Therapie bleibt für viele mühsam, und die Therapie selbst ist oft ineffizient. Genau hier setzen wir mit KI an: Wir verbessern sowohl den Zugang zu Psychotherapie als auch deren Wirksamkeit – und schaffen so dringend benötigte therapeutische Ressourcen.
Wir sind die Ersten, die KI-basiert Stimmanalyse zur objektivierbaren Datenmessung in den gesamten therapeutischen Prozess integriert haben.
ottonova: Könntest du uns erklären, wie genau ihr bei senseven KI einsetzt und was das Besondere an eurem Ansatz ist?
Eva: Ein zentraler Aspekt ist das Matching: Wenn Menschen Hilfe benötigen, wissen sie oft nicht genau, welche Art von Unterstützung für sie die richtige ist. Unsere KI hilft dabei, durch gezielte Fragen die passende Therapie und Therapeuten oder Therapeutin für individuelle Bedürfnisse zu finden. Denn der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung ist, zu wissen, wohin man sich wenden kann. Es geht also um die Optimierung des Zugangs zur passenden Therapie, im Grunde um den Betroffenen einen schnellen Termin und Psychotherapieplatz anzubieten.
Nach der Vermittlung begleitet eine App den Therapieprozess. Sie fungiert nicht nur als Unterstützung für Patienten und Patientinnen, sondern auch als Co-Pilot für Therapeuten und Therapeutinnen. Das Besondere ist, dass wir ein KI-Modell entwickelt haben, das anhand bestimmter Biomarker in der Stimme wie Tonalität, Geschwindigkeit, Wortwahl und Artikulation den psychischen Zustand objektiv einschätzt. Dies ermöglicht es uns, aus der kontinuierlichen Messung der einzelnen Daten, eine zuverlässige Vorhersage und Kontrolle des Therapieverlaufs und der Symptome zu treffen.
Die App bietet eine Tagebuch-Funktion. Patienten und Patientinnen können ihren Zustand Sprachnachrichten dokumentieren – auch über, anstatt Texte schreiben oder lange Fragebögen antworten zu müssen. Diese können dann erneut KI-basiert analysiert werden, um daraus Rückschlüsse für den Therapieprozess zu ziehen und sogar Vorhersagen über Symptomentwicklungen treffen zu können. Außerdem können Therapeuten und Therapeutinnen gezielt Übungen und Fragebögen bereitstellen, um den Therapieprozess zwischen den Sitzungen zu unterstützen.
Zum einen geht es also um die Optimierung des schnellen Zugangs zur passenden Therapie. Zum anderen geht es um die Verbesserung der Effektivität durch die Personalisierung der Therapie. Basierend auf intelligenter Analyse von Datenerhebungen über Zeit werden passgenaue und personalisierte Lösung für die Patienten und Patientinnen zugeschnitten. Auf Grundlage von Daten geht es außerdem darum, personalisierte Handlungsempfehlungen aussprechen, die über die Therapiesitzung hinaus gehen, um den Patienten und Patientinnen bestmöglich in seinem Alltag begleiten zu können.
ottonova: Das heißt die Idee kam aus dem Umstand heraus, dass die Ressource Therapeut effektiver eingesetzt werden muss, weil es mehr Bedarf an Psychotherapie gibt und dass es oft ein Missmatch gibt von Bedarf und Therapie?
Eva: Ganz genau! Ich bin Psychotherapeutin und glaube die Erfahrung vieler Psychotherapeuten und -Therapeutinnen zu teilen, dass es sehr belastend ist, Menschen, die um therapeutische Hilfe bitten, abzusagen oder aus Zeitmangel Wartelisten nicht mehr bearbeiten zu können. Ich habe den Beruf gewählt, um zu helfen und nicht Absagen zu verteilen. Die negative Auswirkung der Versorgungsdefizite auf den eigenen Berufsalltag trifft sozusagen die Selbstidentität der Psychotherapeuten.
Während meiner Arbeit in verschiedenen Stationen der Gesundheitsversorgung war ich stets mit dem Missmatch zwischen meiner Ressourcen und dem Patientenbedarf konfrontiert. Eine der schwierigsten Fragen war: Wo finde ich jetzt das beste Angebot für den Patienten?
Die Patientenjourney ist manchmal wirklich schwierig: Erstmal kann die Person gar keinen Therapieplatz oder Therapieangebot finden und dann, wenn sie einen gefunden hat, ist es vielleicht nicht wirklich passend. Da geht so viel Zeit verloren. Und – selbst bei einem Matching erlebt die Person die passende Unterstützung in einer 50-minutigen Sitzung einmal in der Woche. Und was passiert dazwischen? Es ist für manche Patienten und Patientinnen sehr schwer, die Therapieziele zwischen den Sitzungen zu verfolgen.
Sollte es aber der Person dann schlechter gehen und wir als Alternative dazu, beispielsweise nur wieder eine stationäre Behandlung anbieten, dann haben wir ihm zwar in dieser Phase gut geholfen aber nicht wirklich viel getan, um sie langfristig in ihrer Selbständigkeit zu verhelfen.
Im Grunde ist Senseven ein Plädoyer für die Selbstwirksamkeit – heraus aus der Hilflosigkeit der Therapeuten und Therapeutinnen, nicht allen richtig helfen zu können, und der Patienten und Patientinnen, damit sie ihre Symptome frühzeitig selbst erkennen und gezielt mit Leichtigkeit bewältigen können.
ottonova: Die schnelle Verarbeitung von Daten ist also das zentrale Instrument in dieser Therapieform?
Eva: Ja. Psychotherapie sollte nicht nur effizienter, sondern auch wirksamer werden. Ein zentraler Aspekt dabei ist eben die Selbstwirksamkeit: Menschen sollen lernen, sich selbst zu helfen und Werkzeuge an die Hand bekommen, um ihre psychische Gesundheit langfristig zu stabilisieren. Unsere App kombiniert den schnellen Zugang zu Therapieangeboten mit einer digitalen Begleitung, die die Therapieeffekte verstärkt.
Voraussetzung dafür sind hochqualitative repräsentative Daten und die evidenzbasierte Validierung der daraus identifizierten Indikatoren.
Die Patientendaten sind ein sehr wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses und können von der KI analysiert und eingeordnet werden. So rückt der Patient oder die Patientin mit seiner Geschichte und seinen Erlebnissen neben der evidenzbasierten Indikatoren selbst ins Zentrum der Therapieentscheidungen und kann wie auch der Therapeut oder die Therapeutin Einsicht erhalten. Und das KI-Modell wird mit diesen Daten trainiert und kontinuierlich aktualisiert.
Mit einer digitalen Assistenz ist es viel leichter, im Alltag aktiv zu bleiben, die Herausforderungen zu bewältigen und die Therapieziele zu verfolgen.
ottonova: Dabei werden sehr sensible und zutiefst persönliche Daten erfasst. Wie gewährleistet ihr, dass die Daten nicht missbraucht werden können?
Eva: Wir legen großen Wert auf Datenschutz, das ist ein grundsätzlicher ethischer Aspekt beim Einsatz von KI in der Therapie Wir setzen auf Privacy by Design, wobei die Datenverarbeitung direkt auf dem Endgerät stattfindet – ein innovativer Ansatz, der uns deutlich von den bisherigen digitalen Lösungen auf dem Markt abhebt. Um den bestmöglichen Datenschutz und ethische KI gewährleisten zu können, arbeiten wir mit zwei Universitäten (TU Berlin und TU Chemnitz) zusammen und werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Das Potential, Daten und KI in der Therapie einzusetzen, ist sozusagen ein großes disruptives Versprechen für die Zukunft, eine patientenzentrierte Versorgung zu ermöglichen.
ottonova: Jetzt mal ganz weit in die Zukunft gedacht: Glaubst du, dass KI-gestützte Therapie in Zukunft die traditionelle Therapie vollständig ersetzen kann oder wird?
Eva: Nein. Die persönliche Therapie kann und wird niemals von KI abgelöst werden.
Therapie basiert auf menschlichen Beziehungen, Empathie und Feingefühl – Fähigkeiten, die eine KI nicht besitzt. Therapeuten und Therapeutinnen wägen genau ab, wann sie Patienten und Patientinnen konfrontieren. Psychische Prozesse benötigen Zeit, um Einsichten zu gewinnen, und eine zu frühe oder zu späte Konfrontation kann problematisch sein.
Während KI dabei helfen kann, Therapieprozesse effizienter und zugänglicher zu gestalten, bleibt die therapeutische Beziehung unersetzlich. Die Entwicklung von KI in diesem Bereich muss daher reguliert und ethisch durchdacht sein – ein Ansatz, den der EU AI Act ebenfalls verfolgt.
Wer ist Eva Gjoni?
Als Psychologin mit Masterabschluss in Kognitiven Neurowissenschaften und Dozentin leitet Eva Gjoni das therapeutische Team von senseven. Nach mehrjähriger akademischer und klinischer Berufserfahrung im Gesundheitswesen und in ihrer eigenen psychotherapeutischen Praxis setzt sie sich mit senseven für effektivere und leichter verfügbare Psychotherapie durch den Einsatz von moderner Technologie ein.
Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.