Sich gesund spielen? Wir haben mit dem Arzt und E-Health Experten Laurin Rötzer darüber gesprochen, wie der Videospiel-Ansatz in der Therapie funktionieren kann und wie Serious Games helfen, Lernziele zu erreichen. Außerdem geht es darum, wie Krankenversicherungen Gamification als Instrument zur Prävention nutzen können.
Inhalt des Ratgebers
Games hatten lange Zeit ein schlechtes Image. Lange wurden sie mit Spielsucht und Faulheit assoziiert. Oder man denke nur an die Debatte darum, ob Ego-Shooter gefährlich sind und Jugendliche aggressiv machen. Aus dieser Schublade sind Videospiele heute zum Glück raus und die Computerspielkultur erreicht bisweilen eine viel größere Zielgruppe.
Spiele wie Cyberpunk werden im Netz als Kunstwerke der Spieleentwicklung gefeiert und es wird auch politisch versucht, die Videospielkultur zu fördern. Immerhin wurde für das Jahr 2019 ein Förderpaket über 50 Millionen Euro für die deutsche Videospieleindustrie geschnürt, um international konkurrenzfähig zu sein. Doch der Förderbetrag war 2020 schon wieder aus dem Etat verschwunden. Dies wurde aber verschiedenfach kritisiert. Grundsätzliche hat man auch in der Politik verstanden, dass in der Videospielkultur Chancen liegen.
„Es spielen nicht mehr nur Jugendliche Videospiele, gerade Mobile Games werden auch von älteren Zielgruppen stark gespielt“, sagt Laurin Rötzer, Co-Founder und ehemaliger Mitarbeiter des Start-ups RetroBrain, das therapeutische Videospiele entwickelt.
Nur ist noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen, dass man mit Computerspielen eben nicht nur eine Form der Unterhaltung schaffen kann, sondern mit Spielelementen viele positive Effekte erzielen kann. Sei es durch Gamification-Elemente, die zum Beispiel zu Prävention motivieren oder generell die Motivation steigern oder durch Serious Games, die beispielsweise zum Lernen oder in der Medizin eingesetzt werden können. Ganz nach dem Motto: Spiel dich gesund.
Was ist Gamification?
Gamification bedeutet die Anwendung von spieltypischen Elementen in einem spielfremden Kontext. Klassische Elemente sind unter anderem Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, Auszeichnungen oder virtuelle Güter. Die Spielelemente werden zur Motivationssteigerung eingesetzt. Bei Erreichen eines bestimmten Ziels gibt es eine Belohnung.
Was sind Serious Games?
Serious Games sind Spiele mit ernsthaftem Lernziel. Sie sollen also bestimmte Inhalte vermitteln und Kompetenzen fördern. Dabei steht aber der Spielspaß genauso wie bei jedem anderen Game im Vordergrund. Serious Games verfolgen das Konzept des spielerischen Lernens aus intrinsischer Motivation.
RetroBrain: Videospiele in der Therapie
Ein gutes Beispiel für einen Videospieleansatz in der Therapie ist RetroBrain.
„Unser Ansatz bei RetroBrain war, dass wir ein Game für Senioren entwickeln wollten, das sie animiert, sich körperlich und geistig zu bewegen, damit sie aktiv bleiben können“
Der Arzt und E-Health-Experte ergänzt: „Wir haben uns Konzepte beispielsweise aus der Demenzprävention und aus der Sturzprävention angeschaut und Übungen versucht in Spiele zu übersetzen. Unser Ziel war es, dass das Spiel gerade für die nicht ganz gewöhnliche Zielgruppe einfach zu spielen ist und vor allem auch Spaß macht.“
Um die Senioren zur Bewegung zu motivieren, funktionieren die Spiele mit Bewegungssteuerung. Man kann sich das Konzept von RetroBrain wie eine klassische Spielekonsole vorstellen, die man an den Fernseher anschließen kann. Denn ein Fernseher ist in nahezu jedem Seniorenheim vorhanden. Gesteuert werden die Spiele allerdings nicht mit einem Controller, sondern über Gesten, was die Zugänglichkeit für Senioren erhöht.
Der Ansatz ist niederschwellig, da die Spiele sehr einfach gestaltet sind und bereits vorhandene Infrastruktur genutzt werden kann.
RetroBrain bietet verschiedene Spielemodule. Neben einem Kegelspiel gibt es beispielsweise ein Spiel, in dem die Senioren ein Fahrzeug mit Körperbewegungen steuern müssen oder Spiele, die kognitive Ansätze verfolgen.
Die Senioren führen beim Spielen zum Beispiel Übungen zur Gangsicherheit aus, ohne es zu merken. Wenn die Übung nicht als Übung wahrgenommen wird, hat das einen großen Motivationsvorteil. Während die reine Übung über 10 Minuten zu machen als eintönig empfunden würde, ist sie jetzt mit Spielspaß verbunden.
Außerdem können die Senioren wieder Dinge tun, die sie früher gemacht haben oder sich dann an bestimmte Sachen von früher erinnern. „Ganz viele fangen dann auch an zu erzählen, von Kegelabenden oder dass sie mal eine Motorradtour gemacht haben“, sagt Laurin.
Videospiele verändern das Gehirn
„Es gibt Forschung die tatsächlich zeigt, dass bestimmte Aspekte in Computerspielen eben Teile des Gehirns so trainieren können, dass das Demenzrisiko sinkt oder dass die kognitive Leistungsfähigkeit steigt. Da geht es vor allem um Navigation im dreidimensionalen Raum. Das macht man ja in vielen Computerspielen die ganze Zeit“, erklärt Laurin.
Um genau diese Hirnareale gerade auch bei Patienten mit einer Vorstufe von Demenz anzusprechen, hat RetroBrain eigens Spielmodule designt. Es geht auch darum wissenschaftlich auswerten zu können, welche Wirkung die Spiele haben, um den therapeutischen Effekt immer weiter verbessern zu können.
Dabei ist es sehr wichtig, den Einstieg zu so einfach wie möglich zu machen, denn sonst kann es zu Frustration kommen und das Spiel hat einen demotivierenden Effekt. „Deswegen haben wir wirklich konsequent versucht, die ganzen Elemente, die ein Einstiegshürde sein können, beiseite zu schaffen“, betont Laurin im Interview.
Fürs Spielen ist man nie zu alt
Die Spiele haben neben dem therapeutischen Ansatz, wie viele Spiele – vom Brettspiel bis zum Multi-Player-Videospiel – auch einen sozialen Aspekt. Man selbst kennt es vielleicht von interaktiven Spieleabenden mit der Switch zu Hause, an denen man bowlt, Darts spielt oder Autorennen fährt.
„So ein Spiel ist Anlass, dass die Menschen, zusammenkommen, sich gegenseitig anfeuern, miteinander interagieren, die sonst nur nebeneinandergesessen und ferngesehen hätten“ meint Laurin und erzählt mit einem Lächeln von einem Testlauf am Anfang des Projekts in einem Seniorenheim:
Einer der Senioren – ungefähr 95 Jahre alt – holte nach dem Spiel aus seinem Zimmer eine Box voller Nintendo Spiele, die er seit 40 Jahren hat und auch heute noch im Zimmer jeden Tag spielt.
Auch Covid-19 hat die Qualität von Computerspielen nochmals hervorgerufen, weil man selbst ohne physischen Kontakt vielleicht einen gewissen sozialen Kontakt herstellen kann. Man denke nur an Zoom-kompatible „Brettspiele“.
Wie Games und Gamification motivieren
Aber es gibt nicht nur im Bereich der Medizin Game-Ansätze, sondern etwa auch beim Lernen. Beispiele sind VocabiCar zum Englischlernen, das Geometrie-Spiel „Dragon Box Elements“, das Point-and-Click-Adventure „Moving Tomorrow“, „Pacific“, das kreative Lösungsansätze fördert oder in der Gesundheitbranche das Spiel „Pulse“, das eine Notaufnahme simuliert. Auch Spiele wie „Assasin’s Creed“, wo Spieler die Antike erkunden, können als Erweiterung für den Geschichtsunterricht genutzt werden. Und auch wenn State of Mind kein klassisches Lernspiel oder Serious Game ist, stellt es doch Fragen wie „Wie kann unsere digitale Zukunft aussehen?“ und kann so Denkanstöße fördern.
Gerade in der jetzigen Situation, in der Schulen geschlossen bleiben, könnten Lernspiele ein Ansatz sein, um Distanzunterricht zu ermöglichen. In Deutschlands Schulsystem hat man aber noch sehr viele Schritte hin zu einer flächendeckenden Digitalisierung zu gehen. Denn die Schulen stellen größtenteils keine digitale Infrastruktur wie Tablets oder Laptops zur Verfügung und nicht alle Schüler können sich diese selbst leisten.
Aber auch bei der Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen oder Depression können spielebasierte Anwendungen zum Einsatz kommen. In der Verhaltenstherapie könnten Spiele eingesetzt werden, die eben bestimmte Aspekte trainieren und Bewältigungsstrategien einüben könnten, meint Laurin.
Computerspiele haben Aspekte, die den Spieler motivieren, weiterzuspielen, bis hin zur Perfektion optimiert. Genau diese Ansätze können auch in anderen Umfeldern zur Motivation zum Einsatz kommen. Neben therapeutischen Videospielen können aber auch Gamification-Ansätze einen sinnvollen Einsatz finden.
Belohnungen machen glücklich
Klassische Gamification-Ansätze funktionieren über ein Belohnungssystem. Belohnungen schütten bestimmte Neurotransmitter im Gehirn aus, die uns motivieren, das Verhalten, das zur Belohnung geführt hat, erneut auszuführen. Gamification versucht Menschen dadurch zu motivieren, etwas zu tun, dass sie Elemente aus Spielen in den Prozess einbauen. Beispielsweise gibt es Punkte oder Belohnungen, wenn man eine bestimmte Aufgabe erledigt, also ein gewisses Ziel erreicht. So wird eine Aufgabe spannender und interessanter. Gerade Apps wie die Sprachlern-App Duolingo machen sich dieses Spieleprinzip zu Nutze und motivieren ihre Nutzer dadurch, jeden Tag ein wenig Zeit in das Sprachenlernen zu investieren.
Das lässt sich nicht nur im Arbeitsumfeld oder in der Schule anwenden, sondern kann Menschen auch dazu motivieren, sich gesundheitsbewusster zu verhalten. Gamification kann also auch ein Instrument zur Prävention sein. Viele Leute brauchen vielleicht den ein oder anderen kleinen Stups, um das erwünschte Verhalten an den Tag legen zu können.
So kann das Game oder die Anwendung mit Gamification-Element positive Auswirkungen auf die Realität und die Gesundheit des Nutzers haben. Der Nutzer sieht die Effekte seiner Handlung nicht nur in der Belohnung, sondern auch in seiner körperlichen und mentalen Fitness. Diesen Vorsorge-Aspekt machen sich auch immer mehr Krankenkassen und private Krankenversicherungen zu Nutze. Bei ottonova gibt es neben unseren kleinen Überraschungseffekten auch einen Vorsorgebonus.
Auch die Zusammenarbeit mit therapeutischen Apps könnte hier viel beitragen. Allerdings sind gamifizierte Ansätze bei den bisherigen ottonova noch in der Minderheit. Aber wir bleiben gespannt und spielen bei ottonova weiterhin das Escape-Game aus der analogen hin zur digitalen Welt der Krankenversicherung.
HIER SCHREIBTMarie-Theres Rüttiger
Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.